Wenn wir im Jahre 6 nach der Wende im Kreis von Freunden
und Kollegen die sich im Rentenalter befinden beim Früh- oder Dämmerschoppen
zusammensitzen, bezieht sich die Unterhaltung häufig auf die Kindheit mit
ihren Ereignissen und Erinnerungen. Vieles was schon fast vergessen war wird
wieder aufgefrischt und man erkennt immer wieder, wie anders doch unsere Kindheit
gegenüber der unserer Enkel war.
Während wir unsere Kindheit überwiegend mit
Spielen in der Natur verbrachten, viele dieser Spiele kennt man heute schon
gar nicht mehr, interessieren sich die Kinder heute doch fast nur für den
Fernseher oder elektronisches Spielzeug.
Während meine Eltern noch in Holzpantoffeln zur
Schule gingen, durfte ich wenigstens schon
im Winter die abgetragenen Stiefeln und die für ihn zu klein gewordenen
Sachen zur Schule anziehen. Und wie sieht dieses heute aus?
Wenn heute schon vieles für die Kinder und Enkel
nur noch graue Vergangenheit ist, wie wird es dann später den Urenkeln
und weiteren Nachkommen erscheinen?
Durch diese Gegensätzlichkeit wurde ich angeregt,
durch Auswertung noch vorhandener Unterlagen und Festhalten alter Erinnerungen
in den "Friedrichstädter Geschichten" die Entwicklung unserer
Familie aufzuzeigen.
Diese Ausführungen sind mit zahlreichen Kopien und
Fotografien versehen. Diese sind zum Teil schon über 100 Jahre alt und
der Zahn der Zeit hat an ihnen genagt. Ebenso haben bei verschiedenen alten
DIA-Positiven die Farben und die Filmschicht gelitten. Da sie aber doch eine
historische Aussagekraft haben, wollte ich auf ihre Darstellung nicht verzichten.
Jede der Geschichten ist in sich abgeschlossen, doch
kommt es in den Geschichten untereinander zu Überschneidungen bzw. Wiederholungen.
Einige sind reine Bildersammlungen.
Weiteres Bild- und Aktenmaterial befindet sich im Familienarchiv.
Diese Aufzeichnungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit,
sonder sollen nur zeigen wie ich als "Otto Normalverbraucher" gesehen
und erlebt habe.
Nach Erzählungen meines Großvaters August
Präger wohnten unsere Vorfahren bis 1813 in der Mauerstraße. Während
der Belagerung soll eine Großmutter in der Wohnung durch eine Kanonenkugel
getötet worden sein. Einem kleinen Kind, welches sie auf dem Schoß
hatte soll nichts passiert sein. Wenn diese Überlieferung stimmt, könnte
es sich bei dem Kind um die Nummer 8 in der Ahnentafel, dem Christian Andreas
Präger handeln. Dessen Vater, die Nr.16 der Ahnentafel, war mit Napoleons
Truppen nach Moskau gezogen und kam schwer krank aus Russland zurück und
verstarb kurze Zeit später am 19.4.1814.
Wie weit das Haus der Prägers durch den Krieg in
Mitleidenschaft gezogen wurde ist mir nicht bekannt, doch wurde mit dem Aufbau
Friedrichstadts das Haus in der Charlottenstraße mit der Brandkatasternummer
78
( rechts der Gaststätte „Zwei Linden„ Prägers neue Heimat.)
Während der Belagerung Wittenbergs 1813 wurde die
Stadt schwer zerstört. Nach Beendigung des Krieges entwickelten
sich die Vororte Schlossvorstadt, Friedrichstadt und die Elstervorstadt,
auch Knüppelsdorf genannt.
In allen drei Vorstätten war die Landwirtschaft
in verschiedenen Formen dominierend. Da unsere Familie schon immer landwirtschaftlich
orientiert war, sollen die folgenden Betrachtungen vorrangig über
die Landwirtschaft berichten..
Im Gebiet der Schlossvorstadt finden wir überwiegend
humose Böden die sich sehr gut für den Gemüseanbau eignen. Dieses
Gebiet erstreckt sich nordwestlich der Altstadt von Kleinwittenberg
bis zur B2.
Östlich vom Elstertor begann die Elstervorstadt,
oder auch die "Schatzung vor dem Elsterthore" genannt. Sie erstreckte
sich vom Elstertor bis zur Wiesigker Grenze in der Nähe des "Luthersbrunnen".
Die nördliche Begrenzung zog sich von der heutigen
Friedrichstadt bis zur Gemeinde Labetz.
Die Grenze zur Friedrichstadt bildete die frühere
Kleine Friedrichstraße. Etwa 1840 wurde durch den Bau der Eisenbahnlinie
Berlin-Köthen und 1875 mit dem Bau des neuen Bahnhofs und der neuen Streckenführung
der nördliche Teil der Elstervorstadt abgetrennt.
Heute betrachten wir als Friedrichstadt das Gebiet östlich
der B2, welches im Süden von der Eisenbahn und im Norden von der Lerchenbergsiedlung
begrenzt wird.
Die Besiedlung Friedrichstadts begann nach 1815 als für
die während des Krieges zerstörten Häuser Ersatz geschaffen werden
musste.
Sie wurde auf dem Gebiet der wüsten Mark Bruder
- Annendorf erbaut. Die Herkunft dieser Bezeichnung ist nicht geklärt,
und es können nur Vermutungen angestellt werden.
Sie ist in einer amtlichen Bekanntmachung des Wittenberger
Kreisblatts von 1859 angegeben.
Da in Schriften über das Neue Jungfernwasser als dessen Ursprungsgebiet die Quellen in der Mark Bruder-Annendorf angegeben sind, kann man annehmen, dass die wüste
Mark sich von der heutigen B2 zwischen den Grenzen von Trajuhn und der Elstervorstadt
bis zur Labetzer Grenze erstreckte. Karten darüber sind bisher leider nicht
auffindbar.
Der etwas seltsame Name Bruder-Annendorf kann einen religiösen
Hintergrund haben. Vielleicht gab es hier früher mal eine kirchliche Stätte
die irgendwann nach dem Tode eines frommen Bruders, mit Namens Annendorf, zerfiel.
Woher kommt die Bezeichnung "der Sieb" ?
Auf dem Sieb waren die Ackerflächen oberhalb des
Weges nur ganz minderwertige Kiesböden. In den Trockenjahren 1946 und 47
ernteten wir hier nur etwa 3,20 dz/ha Roggen. Deshalb richteten wir hier unsere
Kiesgrube ein.
Aus diesem Grunde entstanden im Laufe der Jahrzehnte
eine ganze Anzahl Kiesgruben an die ich mich heute noch erinnere.