Der Beginn der Planwirtschaft
Der folgende Beitrag ist
eine Betrachtung aus meiner persönlichen Sicht und erhebt keinen Anspruch
auf eine Schilderung der Gesamtsituation auf dem Gebiet der DDR.
Nach dem Kriegsende lag die Wirtschaft in Deutschland
total am Boden. Unser Gebiet war von der Roten Armee besetzt.
Auf den Dörfern und in den Städten waren viele Flüchtlinge untergebracht. Die Versorgung
der Menschen mit Lebensmittel, Heizung und Dingen des täglichen Bedarfs
waren völlig unzureichend.
Es gab keine Elektroenergie, viele Betriebe waren kaputt
oder wurden von den Russen demontiert.
Arbeitsfähige Personen bekamen nur Lebensmittelkarten,
wenn sie sich an der Beseitigung der Hinterlassenschaften des Krieges beteiligten.
Je nach Schwere der Arbeit gab es Lebensmittelkarten unterschiedlicher Art.
Es wurde eingeschätzt: normale-, Schwer- und Schwerstarbeit.
Radios mussten abgeliefert werden, die Befehle der Sowjetischen
Militäradministration wurden an Türen und Hauswänden angeklebt.
Alte Kommunisten und Antifaschisten hatten sich zusammengefunden
und bildeten einen Ordnungsdienst.
Unter der Regie der Sowjetischen Kommandantur wurde mit
diesen Leuten eine neue Verwaltung aufgebaut.
Aktive Nazis wurden teilweise von den Russen abgeholt
und in Lager gebracht. Viele kamen nicht wieder. Das traf auch Menschen, die
vollkommen unbeteiligt waren. Das traf auch meinen Schwiegervater.
Anfangs besaßen wir noch unsere Pferde. Da fuhren
wir mit den Leuten des Ordnungsdienstes täglich in das Arado-Flugzeugwerk,
um Materialien für die Reparatur unseres stark geschädigten Ortsteils
zu holen.
Die Flakkaserne wurde eine gewisse Zeit als Rückführungslager
für aus Westdeutschland zurückkommende russische Zivilpersonen genutzt.
Diese bekamen auch nicht genügend Lebensmittel und plünderten die
in der Umgebung befindlichen Gärten. Wir hatten in den letzten Apriltagen
auf unserem Acker in Trajuhn schon die Kartoffeln bestellt. Auf den gesamten
2500 qm wurden die Saatkartoffeln rausgeklaut.
Nach dem die Zivilisten die Kaserne geräumt hatten,
zog die Rote Armee mit hunderten von Pferden ein. Tagsüber weideten sie
die umliegenden Felder ab, nachts waren sie in den Fahrzeughallen der Kaserne
untergebracht.
In vielen Dörfern wurde das Rindvieh in Richtung
Osten abgetrieben. Dabei wurden auch die Elbwiesen abgeweidet.
Mit dem Aufbau der neuen Verwaltung begann dann auch
die Planwirtschaft. Wir bekamen Ablieferungsbescheide für tierische und
pflanzliche Produkte.
Anfangs erfolgte die Veranlagung in tierischen Produkten
nach der vorhandenen Stückzahl. Dieses wurde aber bald durch die ha - Veranlagung
abgelöst.
Ich besitze noch die Originaldokumente der ersten Nachkriegsjahre.
Im Herbst 45 kam die Bodenreform. Alle Betriebe über
100 ha Landwirtschaftlicher Nutzfläche, sowie aktiven Nazis gehörenden
Betriebe wurden enteignet. In Wittenberg traf es zwei Betriebe, Schulze und
Bosse, beide aus der Schloßvorstadt. Auch hier fragt man sich warum?
Die enteigneten Betriebe wurden unter den Flüchtlingen
und interessierten Arbeitern aufgeteilt. Je nach Bodenqualität erhielten
die Neubauern 5-10 ha Ackerland. Teilweise bauten sich die Neubauern die alten
Wirtschaftsgebäude für Ställe und Wohnraum aus. Es wurde ein
spezielles Neubauernbauprogramm gestartet. Es wurden kleine Häuser mit
dazu gehörigen Ställen gebaut. Es war interessant zu beobachten, dass
zu keinem die verschiedenen Bautypen eine Scheune gehörte. Obwohl es stets
dementiert wurde, dachte man damals schon weiter.
Die Maschinen der enteigneten Großbetriebe wurden
zuerst zum Kreismaschinenhof zusammengeführt um von dort zentral eingesetzt
zu werden. Bei uns in Wittenberg befand sich der Kreismaschinenhof auf dem Gelände
der ehemaligen Firma Auto-Rühlicke.
Mit der Bodenreform begann der Klassenkampf auf dem Dorfe.
Man teilte jetzt die Bauern in 3 Klassen ein. Betriebe bis zu10 ha zählen
zu den Kleinbauern diese wurden auf allen Gebieten begünstigt. Bis 20 ha
folgten dann die Mittelbauern und über 20 ha waren Großbauern. Man
fragte nicht danach, ob es 20ha Sandboden oder 20ha Lehmboden waren. Allein
die Zahl 20 war entscheident. Die Großbauern mussten wesentlich mehr Fleisch,
Milch, Eier, Wolle und ebenso pflanzliche Produkte abliefern.
Mit der Bodenreform begann man auch mit dem Aufbau der
MAS. Maschinen-Ausleih-Station.
Im Kreis Wittenberg wurden solche in Klebitz, Straach,
Kemberg und Pretzsch gebildet.
Später richteten die Stationen in ihrem Bereich
noch Stützpunkte ein.
Die Wittenberger Flächen westlich der B2 gehörte
zur MAS Straach und die Flächen östlich der B2 wurden von der LPG
Klebitz betreut.
Die MTS Straach richtete später
in Wittenberg in der Feldstraße im Gehöft Kilian einen Stützpunkt
ein.
Die gesamten Neuzuführungen aus der sich langsam
entwickelten Industrie und Zuführungen aus der SU kamen in die Mast-Stationen.
Unter viel Propagandarummel lieferte uns die SU eine Anzahl Mähdrescher,
LKW, Kettenschlepper und andere Geräte.
Die MAS stand anfangs nur den Neubauern, später
auch den Mittelbauern zur Verfügung. Sie wurden vom Staat subventioniert.
Für einen Spottpreis erledigten sie die Arbeiten. Um die ungenügend
vorhandene Technik möglichst voll auszulasten, sollte sie Tag und Nacht
eingesetzt werden. Soviel Traktoristen hatte man natürlich nicht und es
wurden
Schichttraktoristen ausgebildet. Viele Jugendliche aus der Landwirtschaft machten davon Gebrauch und konnten dann nachts mit der Technik der MAS ihre Feldarbeiten durchführen.
Inzwischen war auch die VdgB gegründet worden. Die
Vereinigung
der
gegenseitigen
Bauernhilfe.
Es war eine berufsständische Vereinigung, die aber von der Partei dirigiert
wurde. Ihr Vorstand hatte vielfältige Aufgaben. Er musste neben vielen
anderem:
-mait der Verwaltung das Ablieferungssoll aufteilen,
-mit der Differenzierungskommission soweit möglich
Härten auszugleichend.
-Bezugsscheine für Industriewaren ausstellen
- in Verhandlungen mit dem Förster von Cobbeldorf,
Brennholz zu beschaffen,
im Winter fuhren täglich 40 bis 50 Bauern mit dem
Fahrrad nach Cobbelsdorf um bei den Kriegshandlungen abgebrannte Waldbestände
zu fällen. Dafür bekamen wir das Holz zur Nutzung.
-da wir nicht genügend Einstreu für unsere
Viehbestände hatten, wurden Waldflächen organisiert, wo wir Nadelstreu
harken und holen konnten. Nachdem aber erste Fälle von Maul- und Klauenseuche
aufgetreten waren, wurde dieses verboten.
-für die Gemüsegärtner mussten Bohnenstangen
besorgt werden.
-Die Kartoffelkäferbekämpfung wurde durch die
VdgB geregelt.
Vieles andere konnte nur von der VdgB geregelt werden.
Die Mitgliedschaft war zwar freiwillig, aber trotzdem wurden alle Bauern Mitglied.
- Fast in jeder Woche fand im Grauen Wolf eine Vorstandssitzung
statt.
Ich glaube nur vier von
den Vorstandsmitgliedern besaßen ein Telefon. Autos gab es gar nicht,
nur Wilhelm Scheer hatte ein Fichtel & Sachs-Leichtmotorrad (98ccm) über
den Krieg gerettet.
Und das Wesentliche daran war, es gab keine Sekretärin
und alles wurde ehrenamtlich ohne Vergütungen erledigt. Wo könnte
so etwas heute noch passieren?
Später wurden dann auch die Bäuerlichen Handelsgenossenschaften
– BHG – gegründet. Sie übernahmen die Versorgung der Landwirtschaft
mit Dünger, Saatgut, Maschinen, Baumaterialien, Kohle und Kleingeräte
des täglichen Bedarfs. Sie führten auch die Konten der Mitglieder.
Dadurch wurde auch der bis dahin noch mehr oder weniger existierende private
Handel zum Erliegen gebracht.
1952 wurden die VdgB und die BHG zur VdgB/BHG zusammengeschlossen.
An ihre Spitze wurde ein politischer Sekretär gesetzt. Dieses waren zwar
meist keine Fachleute, aber doch gute Genossen. Aus ihrer Position nahmen sie
Einfluss, dass den Großbauern mehr und mehr der Hahn abgedreht wurde.
Sie wurden nur noch zweitrangig beliefert.
Große Probleme brachte stets zur Ernte der Umstand,
dass das Ablieferungssoll im Sommer sofort erfüllt werden musste. Viele
Sommer- und Herbstarbeiten (z. B. die Saatbettvorbereitung) konnten nur verspätet
durchgeführt werden, weil erst gedroschen werden musste.
Ein wesentlicher Engpass war 1945 und auch später
die Energieversorgung. Strom stand nur in begrenztem Umfang zur Verfügung.
Das ergab erhebliche Probleme beim Dreschen des Getreides. Von der VdgB wurden
Druschkarten vergeben. Man durfte dem E-Netz nur dann und soviel Strom entnehmen,
wenn man im Besitz einer Druschkarte war. Dieses organisierte die VdgB.
Gemeinsam mit
der MAS organisierte die VdgB die Einrichtung und den Betrieb von Druschplätzen.
Es wurden betonierte Flächen geschaffen und mit einem entsprechenden Stromanschluss
versehen.
Die MTS stellte dann eine von den Großbetrieben
übernommene Dreschmaschine auf. Den Druschmaschinisten stellte die VdgB.
Hier konnte Tag und Nacht gedroschen werden.
Diese großen Dreschmaschinen verbrauchten natürlich
viel Strom und es war selbstverständlich, dass, wenn auf dem Dreschplatz
gedroschen wurde, für alle anderen Bauern im Ortsteil kein Strom zur Verfügung
stand.
Wir hatten in Friedrichstadt auch einen Druschplatz.
Wir nutzten ihn auch ein paar Jahre. (Bis Mitte der 50er Jahre). Es war direkt
angenehm wenn man Nachts dreschen musste. Die Nacht war kühl und man hatte
frische Luft.
Es kam nun die Zeit, wo sich bei den Großbauern
fast nichts mehr drehte. Viele hatten, zum Teil durch Kriegsfolgen zu wenig
Vieh, konnten ihr Soll nicht erfüllen und durften dann auch nicht schlachten.
Hatten sie das Milchsoll nicht erfüllt bekamen sie keine Butter. (Ich kenne
Mittelbauern, die nach Westberlin gefahren sind um sich von dort Margarine zu
holen.)
Konntest du zu dieser Zeit kein richtiges Essen auf den
Tisch stellen, hattest du keine Arbeitskräfte.
Der Landarbeitertarif betrug zu dieser Zeit 68 Pfennig
je Stunde.
So kam es, dass zu dieser Zeit viele Großbauern
bei Nacht und Nebel in den Westen gingen. Manchmal verschwand in einer Nacht
das halbe Dorf (Eckmannsdorf).
Konnte man sein Soll in einzelnen Produkten nicht erfüllen,
gab es z.T. die Möglichkeit Austauschprodukte zu liefern. Mit Milch und
Fleisch konnte man pflanzliche Produkte ersetzen. Umgekehrt ging es nicht.
1946 und 1947 hatten wir durch große Trockenheit
eine sehr schlechte Getreideernte. Wir ernteten auf einzelnen Flächen nur
3,20 dt/ha Getreide und mussten in beiden Jahren je eine Kuh abliefern um das
Getreidesoll zu erfüllen. Da war man dann zufrieden wenn man vor Weihnachten
ein 80 kg-Schwein schlachten konnte.
Kleine Betriebe mit einem geringen Fleischsoll konnten
beim Verkauf eines größeren Rindes ihr Soll schon auf Jahre im Voraus
abdecken oder mit einem anderen Betrieb eine Vereinbarung treffen gegenseitig
einen Tausch vorzunehmen.
Hatte man eine gute tierische Produktion, konnte man
nach der Erfüllung des Solls Freie
Spitzen verkaufen. Die Aufkaufbetriebe
zahlten weit überhöhte Preise. Man konnte bei der Ablieferung Freier
Spitzen auch bestimmte Industrieprodukte zurück kaufen. So musste man z.
B. 1947 für einen Unterputzschalter 15 Liter Milch mit 3% Fett abliefern.
Bei Sollerfüllung und Erfüllung des Viehhalteplanes
konnte man auch unbegrenzt schlachten und Fleisch auf dem Bauernmarkt verkaufen.
Anfang 1950 wurden hier bis zum Wegfall der Lebensmittelkarten Fleisch und Wurst
zum Preise von etwa 10 Mark je kg gehandelt.
Im Winter 1951/52 nahm ich an der Spezialschule für
Ackerbau in Jessen an einem Lehrgang für Ackerbauberater teil. Nach Abschluss
dieses Lehrganges wurden wir in konzentrierten Neubauerngebieten als Berater
eingesetzt.
Über die Abschlussprüfung möchte ich ausführlicher
berichten, weil sie zeigt wie die Partei und die politische Führung arbeiteten.
Die Prüfungskommission, bestehend aus etwa 6 Personen,
reiste schon am Vortage an. Der Gruppenleiter war erst eine Woche vorher von
der Zentralschule aus Moskau gekommen. Sie waren den ganzen Nachmittag unter
uns und verwickelten uns in die verschiedensten Gespräche.
Ihr Aufenthaltsraum war ein Lehrerzimmer, welches neben
unserem Schlafraum lag. Beide Räume waren durch eine Tür verbunden
die aber auf der Lehrerzimmerseite durch einen Schrank verstellt war. Wir waren
schön ruhig und konnten jedes Wort hören, was drüben gesprochen
wurde.
Die Kommissionsmitglieder gaben dem Leiter der Gruppe
Berichte, wie sich die Schüler in der Diskussion zu den verschiedensten
politischen Fragen geäußert hatten.
Wir hatten in der Klasse einen gewissen Blenke. Er war
staatlich geprüfter Landwirt. Da er Mitglied der NSDAP gewesen war, bekam
er keine Anstellung und wollte versuchen, als Ackerbauberater wieder ins landwirtschaftliche
Berufsleben zu gelangen. Dieser Mann trug eine Stiefelhose, Langstiefeln, eine
grüne Joppe und einen grünen Hut.
Wir hörten wie die Kontaktperson berichtete. Sie
hatte ihn unter anderem gefragt wie er denn denkt, an der Seite der Sowjetunion,
den Frieden zu verteidigen. Seine Antwort war, er habe vom Krieg die Schnauze
voll. Wenn sich welche die Knochen kaputt schlagen wollen, sollen sie es tun,
aber bitte ohne ihn. Die Meinung der Kommission war, dass ein Mann mit Langstiefeln,
grüner Joppe und grünen Hut ein typischer Inspektortyp ist und bei
einer solch unmöglichen Meinung auf keinen Fall auf die Neubauern losgelassen
werden kann.
Er war schon durch die Prüfung gefallen, ehe sie
begonnen hatte.
Dagegen hatten wir unter den Lehrgangsteilnehmern zwei
Personen, die als Neubauern Pleite gemacht hatten. Sie bestanden die Prüfung
und wurden als Berater eingesetzt.
Am Abend nach der Prüfung, ich hatte sie mit dem
zweitbesten Ergebnis bestanden, wurde ich mit dem Primus von der Prüfungskommission
zu einem Umtrunk in eine Gaststätte eingeladen. Wir saßen im Vereinszimmer
und die ganze Unterhaltung der Prüfungskommissionsmitglieder
bestand im Erzählen politischer Witze. Das zu einer Zeit, da solches bei
Bekannt werden mit schwersten Strafen geahndet wurde.
Die Witze waren ja auch für uns interessant, aber
das gemeine war nur, dass sie zu vielen Witzen noch ergänzten, wie viele
Jahre Zuchthaus für diese Witze in den verschiedensten Städten schon
verhängt worden waren.
Nach bestandener Prüfung wurde ich von der Landesregierung
in der BHG Landsberg bei Halle als Ackerbauberater eingesetzt. Zu meinem Bereich
gehörten die Gemeinden Landsberg, Gütz, Reinsdorf, Gollma, Sietzsch,
Reußen und Baggeritz mit ca. 3000 ha Ackerfläche. Meine Aufgabe war
es dort tagsüber auf den Feldern und abends in Versammlungen die Neubauern
in ackerbaulichen Fragen zu beraten.
Wir wurden in Halle angewiesen, allen Diskussionen über
eine eventuelle Kollektivierung entgegen zu treten.
Ich hatte in Gollma fünf Neubauern die als Umsiedler
aus einem Dorfe stammten. Diese unterstützten sich gegenseitig und machten
verschiedene Arbeiten gemeinsam. Dieses hatte man in Halle erfahren und man
versuchte dieses zu verbieten.
Da eine ganze Anzahl von Großbauern in den Westen
abgewandert waren und ihre Höfe verlassen hatten, gab es in verschiedenen
Gemeinden herrenlose Flächen. Um diese zu bewirtschaften wurden die Örtlichen
Landwirtschaftsbetriebe – ÖLB –gegründet.
Diese Betriebe wurden von den MAS - Stationen mit ihren
Agronomen, den jeweiligen Räten der Gemeinden bzw. der VdgB/BHG bewirtschaftet.
Für Handarbeiten mussten Industriebetriebe und Verwaltungen Arbeitskräfte
abstellen.
Dementsprechend sah es dann auch in den Betrieben aus.
In unserem Territorium gab es folgende ÖLB-Betriebe:
Woltersdorf, Dietrichsdorf, Mühlanger, Wittenberg/Wiesigk,
Wittenberg/Schloßvorstadt, Wittenberg/Trajuhn und Euper/Abtsdorf.
Die Neubauern entwickelten sich unterschiedlich. Schwache
Neubauern bildeten dann auch nach der II. Parteikonferenz die ersten LPGen.
Nach der II. Parteikonferenz im Sommer 1952 wurde zur
Bildung von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften aufgerufen und
mit einem Werbefeldzug begonnen. Während sich gut wirtschaftende Neubauern
anfangs auch dagegen sträubten, schlossen sich schwächere Betriebe
schnell zusammen.
Im Kreis Wittenberg fand der erste Zusammenschluss in
Euper – Abtsdorf zur LPG Roter Oktober statt. Andere Orte folgten. Wenn es in
diesen Orten schon einen ÖLB gab, wurde dieser den LPGen angeschlossen.
Anfangs waren dann diese ÖLB - Flächen vom Ablieferungssoll befreit.
Nach der II. Parteikonferenz musste sich auch die Landmaschinenindustrie
wieder umstellen. Hatten sie bis dahin überwiegend nur Maschinen und Geräte
für die Kleinbauern entwickelt, so wurde die Produktion auf Traktoren und
Großmaschinen für die LPG umgestellt.
Bei der Gründung einer LPG musste ein vom Staat
vorgegebenes Musterstatut beschlossen werden. Hier wurde u.a. festgelegt, wie
viel individuelle Fläche den Mitgliedern zur Verfügung steht, wie
viel Inventarbeitrag zu erbringen ist, wie viel Bodenanteile ausgezahlt werden
usw.
Der Mindestsatz des einzubringenden Inventarbeitrages
betrug 500 M/ha. Hatte die LPG schon einen höheren Inventarwert erarbeitet,
so galt für neu hinzu kommende Mitglieder die aktuelle Summe. Dieses war
je ha eingebrachter LNF verbindlich.
Dafür wurden dann nach dem Jahresabschluss die Bodenanteile
ausgezahlt.
Hier war der Mindestsatz 25 M/ha. Starke LPGen konnten
diese Summe auch erhöhen.
Die Bodenanteile sollten zur Instandhaltung der Gehöfte
dienen.
Um Großbauern mit viel ha keine Vorteile einzuräumen
wurden Bodenanteile aber nur bis zu einem festgelegten Höchstsatz z. B
der Durchschnittsgröße aller Betriebe, ausgezahlt.
Mit Unterstützung der Agronomen der MAS wurden Produktionspläne
erstellt. Diese musste vom Kreis und der Bauernbank bestätigt werden .
In ihm waren festgelegt:
- Wie viel Vieh muß gehalten werden,
- zu welchem Termin müssen welche Produkte abgeliefert
werden,
- die Entwicklung der Finanzen,
- der Verbrauch an Arbeitseinheiten,
- die Tätigung von Investitionen,
- die Verwendung der finanziellen Mittel und viele andere
Dinge.
Im Betriebsplan wurde auch die Vergütung für
die geleisteten Arbeiten geregelt.
Die Vergütung der Mitglieder erfolgte nach einem
von den Mitgliedern bestätigten Normenkatalog.
Der Umfang der Viehbestände welchen die Mitglieder
in ihrer privaten Hauswirtschaft halten durften, war in der Betriebsordnung
festgelegt.
Zur Versorgung der individuellen Viehbestände dienten
zum einen die individuellen Ackerflächen, - jedes Mitglied hatte einen
Anspruch auf 0,25 ha – konnten die Mitglieder entsprechend ihrer Arbeitsleistung
weitere Futtermittel erhalten.
Bei uns wurden nach
Planerfüllung je geleisteter AE
noch 1 kg Getreide und 2 kg Kartoffeln ausgegeben. Mitglieder mit privater Rindviehhaltung
erhielten täglich durch die Futterkolonne Grünfutter angeliefert.
Nach dem Besuch der Spezialschule für Ackerbau in
Jessen war ich in der BHG Landsberg als Ackerbauberater eingesetzt. Mit dem
Zusammenschluss mit der VdgB bekamen wir auch einen politischen Sekretär
als Vorgesetzten. Dieses wirkte sich negativ auf das Arbeits- und Betriebsklima
aus und ich ging im Sommer 1952 als Versuchstechniker zur Versuchsstation der
Akademie der Landwirtschaftswissenschaften nach Bad Lauchstädt.
Dort blieb ich bis zur Frühjahrsbestellung 1953
In Landsberg hatte ich ein möbliertes Zimmer. Zum
Essen ging ich in den Ratskeller. Wenn der Monat um war, waren auch meine 320
Mark Monatslohn alle.
In der Buchhaltung der BHG arbeitete eine Umsiedlerin.
Durch den Suchdienst hatte sie ihren Mann im Westen wiedergefunden. Sie verließ
Landsberg in der Nacht. Da sie aber Angst hatte festgehalten zu werden, wollte
sie den Zug erst ab Hohenturm benutzen. Ich brachte sie in der Nacht durch die
Felder nach Hohenturm und fuhr mit einem Nachtzug nach Landsberg zurück.
Bereits eine Woche später wurde mir das in Wittenberg von einem Funktionär
vorgehalten. In diesem Zusammenhang muß ich aber auch sagen, dass dieser
Funktionär der Mitarbeiter der Stasi war, dieses in einem, in meiner Stasiakte
befindlichen Bericht, nicht erwähnt hat.
Während meiner Tätigkeit in Landsberg hatte
ich wieder Verbindungen mit der Versuchsanstalt Bad Lauchstädt aufgenommen
und es ergab sich, dass im August in der Außenstelle Trosssin die Stelle
des Versuchstechnikers freigeworden war.
Ich kündigte in Landsberg und zog nach Trossin.
Zur Auswertung der Versuchsergebnisse wurden die Techniker im Winter nach Bad
Lauchstädt zusammengezogen.
Da keine der Lauchstädter Außenstellen so
extrem leichte Böden wie wir in Wittenberg hatten, kamen wir zu einer vertraglichen
Einigung. Im elterlichen Betrieb in Wittenberg sollte ich 4 ha Futterversuche
durchführen.
Diese Flächen waren frei von der Ablieferung und
wurden von mir als Versuchstechniker betreut. Da 1952 in Wittenberg wieder ein
sehr trockenes Jahr war, brachten viele der Versuche keine auswertbaren Ergebnisse.
1953 wurde diese Fläche auf 2 ha eingeschränkt und 1954 wieder gekündigt.
Da diese Flächen in der Vertragszeit frei von jeder Ablieferung waren,
konnten wir unsere Viehbestände wieder aufbauen und für unsere Wirtschaft
eine gesunde Grundlage schaffen.
Auch finanziell war es ein gutes Geschäft.
In dieser Zeit baute ich auch unsere Küche um. Die
Beratungsstelle für Landfrauen in Westberlin fertigte mir Skizzen
für den Bau der Küchenmöbeln an. Diese von der Tischlerei Pötsch
angefertigten Möbeln sind noch heute modern.
Es war damals kein Problem die gewünschten Fliesenarten
zu erhalten.
Viele Dinge gab es zwar nur in der HO zu erhöhten
Preisen, aber die Versorgungslage verbesserte sich langsam.
Mit der Aufstellung der Kasernierten Volkspolizei und
der Nationalen Volksarmee verlangsamte sich das Tempo der Erhöhung
des Lebensstandards wesentlich.
Man konnte deutlich spüren, das die Partei ihren
Einfluss auf alle Dinge des wirtschaftlichen Lebens verschärfte. Dazu ein
Beispiel:
Ich wollte 1954 bei der Volkshochschule meine Prüfung
als Feldbaumeister ablegen. Dazu brauchte ich eine Beurteilung durch die VdgB,
die ich beim Kreisvorstand beantragte.
Um diese zu erhalten, musste ich im Wittenberger Stadtparlament
den Sitz der VdgB übernehmen. Also wurde ich Stadtverordneter.
Die nächste Stadtverordnetensitzung fand im Gasthaus
in Labetz statt. In der Tageszeitung wurde meine Einführung bekannt gemacht.
Diese Versammlung fand nachmittags statt.
Am Vormittag desselben Tages hatten wir beim Ausmisten
der Schweine festgestellt, das ein Stallfenster kaputt war. Da die Scherben
im Stall lagen, musste es praktisch von außen eingeworfen worden sein.
Im Mist fanden wir dann eine scharfe Handgranate. Wie leicht hätten die
Schweine sie zur Explosion bringen können.
Oder
Auf einem hinter unserem Gehöft stehenden Wagen
finden wir eine fremde Tasche. Ihr Inhalt: ein Paket mit antisowjetischen Flugblättern.
Damals sagte man, das ist der
Klassenkampf auf dem Dorfe.
Nun wieder Einzelbauer versuchte ich unseren Betrieb
weitestgehend zu mechanisieren um der Sozialisierung aus dem Wege zu gehen.
Als erstes bestellte ich mir bei der BHG einen 10PS Fahrzeugdieselmotor.
Mit diesem baute mir der Schlossermeister Jochen Kranke aus der Puschkinstraße
einen Kleintraktor.
In diesem waren ein PKW-Getriebe ,das Getriebe eines
20 PS-Hanomacschleppers und die Hinterachse eines russischen PKW s.
Er hatte zwar nur 10 PS, aber durch die 2 Getriebe konnte
ich mich jeder Situation anpassen. Er hatte 8 Vorwärtsgänge und konnte
bei voller Motorendrehzahl Geschwindigkeiten von einem bis 36 Stundenkilometer
entfalten.
Zu dieser Zeit wurden auf der Grünen Woche in Berlin
noch jede Menge Maschinen und Geräte für den bäuerlichen Kleinbetrieb
ausgestellt.
Ich fotografierte alles was interessant erschien und
organisierte jede Menge Prospekte. Bei unserem Friedrichstädter Schlossermeister
Richard Voigt bauten wir viele Dinge nach und entwickelten so unseren Kleintraktor
zu einem Universalgerät.
Zwei Antriebsräder von Pferdebindern wurden so hergerichtet,
dass sie schnell an die Hinterräder gesteckt werden konnten. Mit diesen
Radverbreiterungen war es möglich, auf nassen Wiesen wo selbst Pferde nicht
mehr eingesetzt werden konnten, problemlos zu mähen.
Damit wir bei der Getreideernte die Getreideschläge
nicht mehr anmähen mussten, bauten wir ein Geweih welches beim Traktor
vor den Vorderrädern eingehängt wurde. Es bog vor den Rädern
die Halme zur Seite und man konnte durch das Getreide fahren. Hatte man
3x rum gemäht, wurden die Garben zurückgeworfen,
einmal rückwärts gemäht und die aufwendige unangenehme Arbeit
des Anmähens war vergessen.
Selbstverständlich hatte er einen Anbaumähbalken.
Ich hatte weiter dazu Hack- und Häufelrahmen und ein Spritzgerät für
den Pflanzenschutz und die Unkrautbekämpfung.
Auch im Pflanzenbau spezialisierte ich mich. Den Speisekartoffelanbau
hatte ich langsam und unauffällig reduziert und mich gleichzeitig auf die
Vermehrung von Frühkartoffelsaatgut umgestellt. Das hatte den Vorteil,
dass das abgelieferte Saatgut mit 125 % beim Ablieferungssoll angerechnet
wurde. Dadurch wurden mir bei der Ablieferung größere Mengen Kartoffeln
angerechnet als ich zur Sollerfüllung brauchte. Diese Übersollmengen
vertauschte ich wiederum gegen Zuckerrüben in Natura im Verhältnis
1:3.
Mein Schlosser hatte mir einen Rübenmuser gebaut.
Mit diesem verarbeitete ich die Zuckerrüben und mästete damit Schweine.
Alle Einnahmen flossen in die Mechanisierung und im Frühjahr
wussten wir bis zur Frühgemüseernte oft nicht, woher wir die wöchentlichen
Lohngelder für die Saisonfrauen hernehmen sollten.
Unser Gemüseanbausoll betrug jährlich 0,50
ha. Dazu kamen noch 0,03 ha Tabak. Der Tabak war ein notwendiges Übel und
wurde immer stiefmütterlich behandelt. 1957 erhöhte der Staat die
Tabakpreise erheblich und machte damit den Anbau lukrativ.
Nach eingehender Beratung mit dem Tabakanbauberater,
schloss ich für 1958 einen Vertrag über den Anbau von 0,50 ha Tabak
ab. Mir war zugesichert worden, dass ich den größten Teil als Grünblatt
an eine Tabaktrocknungsanlage liefern durfte.
Um die dafür erforderliche Anbaufläche freizusetzen,
schloss ich mit Max Walter, einem Wittenberger Gemüsegroßproduzenten,
eine Vereinbarung ab. Ich lieferte ihm Stallmist und er übernahm mein Gemüsesoll.
Der Tabakanbau war ein voller Erfolg. Der ½ ha
brachte mir eine Bruttoeinnahme von zehntausend Mark. Daraufhin baute ich 1959
einen ganzen ha an. Dieser brachte zwar nur
16000 Mark, ich war aber trotzdem zufrieden.
1957 bestellte ich bei der BHG eine Melkmaschine für
10 Kühe. Ich hatte Glück, ich bekam 1958 die zweite und zugleich letzte
Melkmaschine die im Kreis Wittenberg an Einzelbauern verkauft wurde.
So eingerichtet waren wir der Meinung, dass ein LPG-Beitritt
für uns überhaupt nicht in Frage käme. Während wir uns Illusionen
machten, ging um uns herum die Entwicklung unaufhaltsam weiter.
Zu den VdgB - Versammlungen kamen Funktionäre, welche
die Bauern von den Vorteilen einer sozialistischen Landwirtschaft überzeugen
sollten. Interessant war es der Ersten Sekretärin der SED – Kreisleitung
zuhören. Als gelernte Pädagogin verstand sie es überzeugend zu
diskutieren
und auf Fragen sachlich zu antworten.
Ganz anders dagegen die Wittenberger Bürgermeisterin Deichmann. Ihre einzigen
Argumente waren, mit den Kapitalisten und einem Atomkrieg zu drohen.
Die Industriebetriebe mussten Genossen abstellen, die
in Gruppen von Haus zu Haus gingen und um Unterschriften warben. Die Tonart
dieser Gruppen wurde zunehmend aggresiver.