Die Wittenberger Viehordnung

In dieser Viehordnung waren die Privilegien der Bürger festgeschrieben.
Die Bürger wurden nach Rangordnung eingestuft und man unterscheidet in: Je Stadt- und Kabelhufen dürfen gehalten werden (54,5)
4 Pferde
1 Fohlen
2 Kühe
1 Ferse und
8 Schafe halten

Vollbrauberechtigte Bürger diese dürfen (153)
4 Kühe
1 Ferse
25 Schafe und
12 Schweine halten.

Halbbrauberechtigte Bürger und nichtbrauberechtigte Bürger diese dürfen (214)
2 Kühe
15 Schafe und
4 Schweine halten

Die Fleischerinnung diese dürfen ?
550 Schafe halten. ca.37 Schafe je ha
Das waren insgesamt Die Hüfner 54,5x 4 Pferde = 216 Pferde
1 Fohlen = 54 Fohlen
1 Färse = 54 Färsen
2 Kühe = 109 Kühe

8 Schafe = 436 Schafe

153 Vollbrauberechtigte Bürger mal
4 Kühe = 612 Kühe
1 Färse = 153 Färsen
12 Schweine = 1836 Schweine
25 Schafe = 3825 Schafe

214 Halb- und nichtbrauberechtigte Bürger mal
2 Kühe = 418 Kühe
4 Schweine = 836 Schweine
15 Schafe = 3210 Schafe
dazu die (?) Gewerke der Fleischerinnung mit
= 550 Schafe 15 ha = ca.37 / ha
In der Einleitung heißt es u. a. :

……..Wir Bürgermeister und Rath der Churstadt Wittenberg hiermit urkunden demnach in zeithero bei Gemeiner Stadt Tiere und dieselben unter den Bürgern, Acker-Leuten, Gärtnern und anderen ein allzu großer Missbrauch und Exeß in Haltung übermäßigen Viehes entstanden, wodurch die Triften, Hutungen und gemeine Weide übertrieben, und dadurch, dieselbige merklich geschwächt und das Gewerbe und Nahrung so die Bürgerschaft von dem Vieh haben sollte, gar sehr geschmälert worden, dass wir daher mit Zuziehung derer Viertels-Meister, Bürgerschaftlichen Indicen und Hüfnern die alte Viehordnung de Anno 1630 den 14. April und der Anno 1612 den 11.ten August den Ackerleuten erteilten Abschied fleißig durchgegangen zusammen in eine richtige Vieh-Ordnung gebracht und solche in folgende gewisse CAPITTEL verfasset:……

Diese Viehordnung ist in 4 Teile aufgegliedert.

1 Pferde
2 Rindvieh
3 Schafe Ziegen
4 Schweine, Gänse und Enten


Auszüge aus dem Protrokoll
Im Teil 1 - Die Pferde Hier wurde festgelegt, dass Pferdetausch, Pferdehandel nicht oder nur unter der Aufsicht des Hufenrichters stattfinden darf.
Nur Arbeitspferde dürfen auf die Gemeinweide getrieben werden.
Bei Verstößen werden die Pferde gepfändet - 1 Taler Strafe und 2 Groschen Pfändelohn geben.

Teil 2. – Das Rindvieh Es ist verboten mehr Vieh als festgelegt , vor den Hirten zu bringen.
Mehr Rindvieh als gestattet kann confissiert werden

Würde nun jemand dieser unserer Verordnung zuwider leben, und mehr Vieh als ihm vergönnt, vor den Hirten treiben, soll derselbe ohne Ansehen der Person, jedes Mal 1 Taler zu allgemeiner Elb-Breu?? geben
Universität, Oeconomen oder Speise-Wirthe, Königl. und Churfürstlicher und anderer Bedienten dürfen weder mit Rindvieh, Schweinen oder Schafen die Gemeinweide nutzen.
Privathirten wurden nicht geduldet
Wenn die Stadthirten auf den Getreidestoppeln hüten ehe die Mandeln abgefahren worden sind, müssen sie 1 Taler Strafe zahlen.
Ebenso müssen die Hirten Strafe zahlen, wenn sie die Hütezeit nicht einhalten.
Wie denn auch die Hirten bei ebenmäßiger Strafe, bei rechter Zeit, als der Kuh-Hirte im Sommer früh um 4 Uhr und der Schweine-Hirte früh um 6 Uhr so wohl Abends mit dem Verschluss, dieser aber um 6 Uhr. Zum Winter aber von Michael an früh um 7 Uhr und abends um 4 Uhr raus und eintreiben sollen.


Der Hirte trieb durch die Straßen und jeder Viehbesitzer musste seine Tiere vor das Tor treiben.

3. Teil von Schafen und Ziegen Die Fleischer dürfen sich einen eigenen Hirten halten. - Fleischerwiesen noch heute auf dem Großen Anger.
Weiden die Fleischerhirten auf der Gemeinweide müssen die Schafe in Wittenberg verkauft werden. – sonst ist Strafe angedroht.
Ziegen auf die gemeine Trift zu bringen ist gänzlich verboten.

Über die Anzahl der in den Ställen gehaltenen Ziegen sind in der Viehordnung keine Beschränkungen vorgesehen.

Teil 4. Schweine. Gänse und Enten Schweine:
Ein großes Haus darf 12 Schweine incl. der Zuchtsäue und noch die Ferkel
ein mittleres und ein kleines Haus incl. der Zuchtsäue, 4 Schweine und noch die Ferkel ????vor den Hirten treiben.
Ich kann mir schlecht vorstellen wie das funktioniert hat
Gänse und Enten auf dem Hof oder in Ställen zu halten ist gestattet. Aber Auf den Gassen herumlaufen lassen oder solche in denen Bächen auf und nieder schwimmen zu lassen, gänzlich verboten sein, auch jedes Stück wenn es gepfändet wird, mit 1 Groschen gelöset und wenn sie ferner betreten gar confisiert werden.

Wenn aber die Gänse und Enten vor den Thoren, jemanden zu Schaden gehen, soll jedes Stück wenn es gepfändet wird, ohne den Schaden zu ersetzen mit 6 Groschen gelöset werden, welches ebenfalls mit den Hühnern also zu halten, daferne aber durch diese mit ihrem Aufscharren all zu großer Schaden geschied und der Eigenthums-Herr solche auf gütliche Erinnerung nicht inne behalten will, soll der Nachbarn solche todt zu schlagen erlaubt sein.
So gesehen und gegeben Wittenberg am 28. Mai 1725
Johann Paul Keil p.t. Conf. ecg.
Johann Samuell Büttner

Das Antwortschreiben aus Dresden kam am Dresden vom 30. Januar 1727
Interessant ist schon der Briefkopf. Hier heißt es:

Von Gottes Gnaden Wir Friedrich Augustus König in Polen, Herzog zu Sachsen, Jülich, Cleve, Berg, Engern und Westphalen, des heiligen Römischen Reichs Erzmarschall und Churfürst, Landgraf in Thüringen, Markgraf zu Meißen auch Ober-und Unterlausitz, Burggraf zu Magdeburg, gefürchteter Graf zu Henneberg, Graf zu der Mark Ravensberg und Barby, Herr zu Ravenstein, von uns unsere Erben und Nachkommen thun kund, dass…….
Die Weideflächen wurden als Gemeinweide bezeichnet und der Futterbedarf in Kuhweiden berechnet und bei der Bonitierung nach der Ertragsfähigkeit der betreffenden Flächen festgelegt.
Die Weideflächen wurden in 15 Ertragsklassen eingeteilt die mit 1 Kuh oder 10 Schafe im Sommer behütet werden können.
Es gibt eine Bonitierungsliste in der sehr genau die Bodenqualitäten differenziert worden sind.

Benutzungs- und Bewirtschaftungsart der Grundstücke. Die Äcker der Stadt werden in drei Felder bewirtschaftet, ein Feld mit Winterung, eins mit Sommerung bestellt und eins liegt Brache.
Die Brache wird verschiedenartig benutzt, es wird nämlich;
a, das Galgenfeld, wenn es Brache liegt, 4 Wochen von Johanni umgebrochen und ganz mit Brachfrüchten bestellt, wogegen
b von dem Luthersbrunnenfelde nebst den angrenzenden Klothen, von dem Schloßfelde nebst den angrenzenden Klothen, und von dem Weinbergsfelde die besseren Ländereien, durchschnittlich 1/3 der Fläche, 14 Tage vor Johanni umgebrochen und mit Brachfrüchten bestellt worden .Ein ähnliches Verhältnis findet
c hinsichtlich des langen Reihfeldes und des Lindenfeldes statt, indem bei diesem im Brachjahre die besseren Ländereien, mit 1/3 der Fläche , 8 Tage vor Johanni umgebrochen und mit Brachfrüchten bestellt werden. Der Überrest der a b und c genannten Schläge, so wie alle übrigen Acker-Schläge, mit Ausnahme der weiter unten genannten Freifelder liegen bis Johanni Brache, werden erst um diese Zeit umgebrochen und mit weißen Rüben und Haldekorn bestellt.

Der große Luch Der große Luch wird im Frühjahre bis zum 12. Mai geschont, von dieser Zeit mit den Pferden, Kühen und dem Jungviehe bis zum 1. Dezember bei Tag und Nacht, mit den Kühen und Jungvieh dagegen bis ebenfalls den 1. September nur am Nachmittag ausgeübt.
Vom 1. September ab bis zum 1. Dezember werden Pferde, Kühe und Jungvieh zusammen gehütet.
Der jedesmalige Förster auf dem Luthersbrunnen oder auf dem Försterhause ist dagegen berechtigt, seine Kühe und Jungvieh in der Zeit vom 12. Mai bis 1. September auch am Vormittage in dem großen Luch zu hüten.
Von denjenigen Teile des großen Luchs, welcher mit Holz und Obstbäumen bestanden ist, nimmt die Kämmerei nicht nur den Grund und Boden, sondern auch das darauf stehende Holz und die Benutzung des echten Obstes ausschließlich in Anspruch, weil die Kämmerei das Holz seit unvordenklichen Zeiten kultiviert und die Hölzer teils zu städtischen Communalbauten, teils zu Deputathölzern verwandt, nicht minder die Obstalleen allein (!!!) angelegt und den zeither bezogenen Obstpacht zur Kämmerei-Kasse eingezogen habe,

Der kleine Luch hinter Kleinwittenberg welcher früher ebenfalls ein gemeinschaftliches Weiderevier war, wird seit dem Jahre 1719 mit Ausschluss jeder Benutzungsart seitens der Bürgerschaft nur allein von der Kämmerei als Wiese benutzt, und werden von derselben durch die Heupächte die Uferbauten für die verpflichteten Bürger bestritten.
Die Vertreter der Kämmerei haben der Teilung des kleinen Luchs zwar nicht widersprochen behaupteten aber dass die Kosten der Uferbauten den inzwischen gezogenen Nutzen bei weitem übersteigen und verlangten dass der Kämmerei gehabte größere Kostenaufwand von der hütungsberechtigten Bürgerschaft vor der Rückgabe des Grundstücks vergütet werde.
Die Vertreter der Bürgerschaft stellen die seit dem Jahre 1719 der Kämmerei ausschließlich zugestandene Benutzung des kleinen Luchs gegen Bestreitung der Uferbaukosten, nicht in Abrede, sie verlangen aber, dass die Kämmerei zunächst über die Einnahme von diesem Grundstück seit dem Jahre 1719 und über die Ausgaben für Uferbaukosten von dieser Zeit ab, Rechnung lege. Die Rechnungslegung ist bisher nicht erfolgt und wird auch durch den bezeichneten Vergleich überflüssig werden.

Die Kuhlache vor dem Elbttore wird vom Frühjahre bis zu 12. Mai mit den Pferden und dem Rindvieh behütet, von dieser Zeit ab, bis Johanni geschont und von Johanni bis zum Winter wiederum die selben Viehherden, vom Michaeli ab aber auch die Schafe aufgetrieben.
Auf einem Teile dieses Grundstücks wird alljährlich Ende Juli und Anfang August 8 Tage hintereinander das Vogelschießen von der Bürger-Schützen und Bürger-Grenadieren in Wittenberg abgehalten.
Der kleine Anger vor dem Elbtore. ( Fleischerwiesen)

Zwischen der Kuhlache und dem großen Anger wird vom Frühjahr bis Johanni nur ausschließlich von den Pferden und dem Rindvieh ohne Vorrechte der einen oder der anderen Viehgattung behütet, hier nächst aber die Weide bis zum Winter für alle Vieharten offen. Die sogenannte Ratsziegelei der Kämmerei zugehörig, hat das Recht des Lehmgrabens auf den kleinen Anger. Anderen Grundgerechtigkeiten unterliegt dieses Weiderevier nicht.

Die Viehordnung war nach über 100 Jahren noch immer verbindlich.
Da sich aber die Bürgerzahl wesentlich vergrößert, und sich die Futterflächen infolge von Bebauung verkleinert hatten, kam es anfangs des 19. Jahrhunderts zu Problemen.
Der beginnenden Industrialisierung stand die 3-Felderwirtschaft hemmend im Wege.
Mit dieser extensiven Wirtschaftsweise wurde es problematisch, die sich ständig vermehrende Bevölkerung zu ernähren. Es war daher ein Bestreben der Regierung, die Landwirtschaft zu intensivieren.
Dazu war erforderlich, dass die 3-Felderwirtschaft aufgehoben, Flurstücke zusammengelegt und ein neues Wegenetz geschaffen werden musste.

König Wilhelm III. verordnete daher, dass in den Gemeinden in denen mehr als 3 Bürger eine Separation forderten, diese auch durchzuführen sei.
Ich denke, dass Wort Separation kann man im heutigen Sprachgebrauch mit Flurneuordnung oder auch mit Reformen übersetzen.
Nach gründlichen Untersuchungen stellt man fest, dass der berechtigte Viehbestand aller Interessenten 3852 Kuhweiden betrug aber mit den noch vorhandenen Futterflächen nur 10 % des in der Viehordnung zugesicherten Viehbestandes gehalten werden konnten.
Geht man von den 10% aus, wären das bei
545 Betrieben + Hüfner und Fleischer
Pferde 21 + 5 Fohlen – nur bei Hüfnern und Fleischern ?
Kühe 173 durch 545 =0,3 je Haus
Färsen 203 nur bei Hüfnern und ganzbrauberechtigten Häusern
Schafe 1240 durch 4545 =ca., 3 je Haus
Schweine 384 durch 545 = ca.0,7 je Haus

Wenn ich an die Zeit vor dem Krieg zurückdenke, wie viel Vieh noch von Arbeiterfamilien gehalten wurde könnte diese Einschätzung real sein.
Trotzdem ist sie ist mit Vorsicht zu genießen, denn da sich die Seperation über 30 Jahre hinzog kam es zu Veränderungen bei der Anzahl der Betriebe.

Bei der Betrachtung dieser Viehordnung kann man vieles über die damals in Wittenberg bestehenden Verhältnisse erkennen, aber es wirft auch viele Fragen auf.
Zum Beispiel:

Man ersieht in den Punkten der Viehordnung, daß jede Viehart ihre Hirten hat. Wie viele mögen es gewesen sein ?
Wann oder wie oft mögen bei diesen Austriebszeiten die Kühe gemolken worden sein?
Auch die vorgeschriebene Arbeitszeiten sind interessant.
Wo wurde in der Stadt der anfallende Stallmist und die Jauche gelagert? (Collegienstraße, Coswiger- Jüden-, Schloß- und den anderen Straßen ).
Wurden die Tiere durch die Straßen oder an der Stadtmauer zu den Stadttoren getrieben? Z.B die Schweine.
Wie wurden die Viehbestände bei Hochwasser mit Futter versorgt ? usw.

Daran das nur 10% der Futterfläche vorhanden waren zeigt, dass einmal die Futterflächen nicht mehr ausreichten und zum Anderen schon viele Bürger auf ihre Ansprüche verzichtet hatten und ich denke, dass war einer der Gründe dass am 15.11.1824 „Wittenberger Bürger vor dem Rathaus provozierten“ und die Separation forderten.

Man musste erkennen, das die alten Privilegien mit der Gemeinweide nicht beibehalten werden konnten. Es kam zur Separation und damit zum Ende der Privilegien.

Weiterlesen: Die Feldpolizeiordnung